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Ein "Jungfernhäutchen" gibt es nicht! Essay und Bildungsangebot gegen den Mythos "Jungfernhäutchen"

Aktualisiert: 19. Jan. 2021


Einmal drin – alles hin. An diese sexistische Losung glauben viele Menschen seit Jahrhunderten: Ein verschlossenes Häutchen soll sich wie eine Art Frischhaltefolie über die Vulva spannen, um beim »Ersten Mal« ritterlich durch einen magischen Penis »gesprengt« zu werden. Das aber ist absoluter Blödsinn! Wer das nicht glaubt, lese selbst: Das MaroHeft#2 ist ein breitbeinig formuliertes und wild, schön und böse von Aisha Franz illustriertes Pamphlet zur Abschaffung eines Mythos – denn Fakt ist: Das Jungfernhäutchen gibt es nicht!


Mittlerweile ist fast ein Jahr der Arbeit mit dem Mythos Jungfernhäutchen und der Realität vaginale Schleimhautfalten vergangen und es gibt eine 2. überarbeitete Auflage beim Buchhandel eures Vertrauens und geplante online Workshops sowie Lesungen im neuen Jahr 2021, um das Wissen mit der Welt zu teilen.


Anfang 2020 gab es bei der Recherche zu dem gesellschaftskritischen Essay "Das Jungfernhäutchen gibt es nicht" bittere Erkenntnisse, als mir klar wurde, wie wenig ich immer noch über meine Körper weiß und wie viele meiner Formulierungen und Annahmen schlicht falsch und sogar für andere Menschen gefährlich sein können. Es gibt Vieles im Internet, in Büchern, in Filmen und Liedern über "das Jungfernhäutchen" und "die Jungfrau" - vor allem Vieles, dass Angst macht, Unsicherheiten schürt, Schmerzen hervorruft, Schweigen begünstigt und sexuelles Verhalten abwertet. Und nur Weniges, dass empowert und anatomische Realität vermittelt.

Obwohl ich mich schon seit einigen Jahren mit Feminismus, Sex, Masturbation, Porn und den Tabuthemen rund um die Vulva beschäftige - nie habe ich mich so ausführlich wie 2020 mit dem sogenannte "Jungfernhäutchen" beschäftigt. Wahrscheinlich, weil es oft in die coming-of-age Ecke geschoben wird, gleich zum Sexualkundeunterricht in der Schule und dem "ersten Mal" im Teenyalter. Also alles schon einige Jahre her bei mir und in meiner Bubble, die sich selbst im sex-positive Feminismus verortet und wo die meisten sich als queer* und kinky bezeichnen. Das Thema "Jungfernhäutchen" steht da nicht im Fokus der sexuellen Selbstfindung. Erschreckenderweise aber wusste auch diese mir bekannte Bubble nichts über die Realität der vaginalen Schleimhäute. Wir alle haben eine Missinterpretation beigebracht bekommen. Eine Geschichte über eine Haut zwischen den Beinen, die angeblich nur "Jungfrauen" haben.

Es hat Konsequenzen für jede Person, wenn wir unsere Annahmen und das Gelernte nicht überprüfen, dass uns im jungen Alter vermittelt wurde. Auf welchen Bildern und sexistischen Rollenzuschreibungen fußt eigentlich unsere sexuelle Bildung? Was davon limitiert und normiert auch heute noch unsere Körper, Lust und Vorstellungen von Sex? Gerade, wenn ich und wir denken, wir seien ja so aufgeklärt?

Wir müssen also alle über diesen Mythos sprechen - es ist kein Thema, dass nur "junge" Menschen und schon gar nicht nur Mädchen und Frauen betrifft. Auch ist es nicht nur ein anatomisches und medizinisches Thema - ganz im Gegenteil, es geht um Kultur, Moral, sexuelle Bildung, Prävention und Gesundheit, gesellschaftliche Tabuthemen und das Patriarchat.


Nach der ersten Auflage gab es Lesungen, Workshops, Gespräche und schnell war klar: Dieses Heft ist nur ein Anfang, wenn es bereits eine Fortsetzung von bereits formulierten Forderungen und Aufklärungsaktionen von Aktivist*innen, Feminist*innen und Autor*innen der letzten 50 Jahre ist! Damit aber endlich all diese Errungenschaften gebündelt ans Licht kommen, braucht es noch mehr Gespräche, mehr Workshops, mehr Aufklärung, mehr Medienpräsenz, mehr Bildung, mehr mutige Menschen, neue Wörter und anatomisch richtige Bezeichnungen. Ein Austausch mit Aktivist*innen und von der Lügengeschichte Betroffenen beweist auch, dass dieser Mythos in uns allen steckt, nur hat er unterschiedliche Auswirkungen parat, je nachdem welche Biographie, kulturellen Hintergrund, Lebensrealität, Religion etc. die Person hat. Auch die sexuelle Bildung und Freiheit, sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität spielt eine Rolle und muss mitbedacht werden. Es gibt nicht "das eine Problem" mit dem Mythos. Manche sind sichtbar, aber es gibt unzählige und unsichtbare - der Mythos ist ein gefährlicher Baustein im patriarchalen System und seine Auswirkungen sind tiefer und heftiger, als es sich viele von uns ausmalen können. Und das einzige Ziel dieses erfundenen Häutchens ist die Unterdrückung und Kontrolle der Sexualität von Personen mit Vulva.


Durch die kulturwissenschaftliche und populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vaginalen Schleimhautfalten habe ich viel mehr als nur anatomisches Wissen dazugelernt.

Wer sich mit Feminismus beschäftigt, sollte sich auch mit Intersektionalität: Was hat antimuslimischer Rassismus mit dem Mythos zutun? Warum betrifft es jede Person unterschiedlich, weil beispielsweise abhängig von ihrer Biographie? sowie mit konsequenter transinklusiver Sprache: Wer alles hat eine Vulva und ist von diesem Thema betroffen und wie kann ich diese Personen adressieren? auseinandersetzen. Mein Feminismus hat diesen Anspruch.

Es tritt auch öfters die Frage nach medizinischem Fachwissen auf - ob ich als Kulturwissenschaftlerin davon eine Ahnung habe und was denn die zukünftigen Gynäkolog*innen und das ärztliche Fachpersonal lernen? Das interessiert auch mich als Kulturwissenschaftlerin. Und die Antwort ist: Sie lernen das, was in den Büchern steht. Und dort gibt es viele Leerstellen. Medizinstudierende aus unterschiedlichen Städten teilen mit mir ihre fehlende Anatomiekenntnisse. Diese zukünftigen Gynäkolog*innen werden nicht entsprechend geschult im Anatomieunterricht, manche von ihnen lernen nicht, was und wo vaginale Schleimhautkränze sind oder die Klitoris in ihrem vollen Umfang kennen. Dagegen muss politisch gehandelt werden. Ich als Kulturwissenschaftlerin beschäftige mich außerdem kritisch mit Wissenschaftsforschung und fordere: Die Vulva und die Vagina sind keine mysthischen Ort, sondern Körperteile, die ebenso wissenschaftlicher Beachtung verdienen, wie der Penis. Nur so kann die anatomische Realität auch in die Schulbücher Einzug halten.


Um all das gesammelte Wissen und die Fakten in die Welt zu tragen und mich mit anderen auszutauschen, biete ich den Workshop "Das Jungfernhäutchen gibt es nicht" an. Mit dem Wunsch, gemeinsam gegen die Lügenmär anzukämpfen und uns gegenseitig aufzuklären und zu informieren. Eingeladen sind alle Menschen, die Interesse haben, weil dieses Thema jeden was angeht.


Was erwartet euch beim Workshop?

Bei dieser kulturwissenschaftlichen Veranstaltung werden die Fake News rund ums "Jungfernhäutchen" benannt und die Wurzeln und Auswirkungen offen angesprochen.


• Hard Facts zur Anatomie der Vulva, Vagina und vaginalen Schleimhautkranz werden mit Bildern von der Illustratorin Aisha Franz in einer Präsentation erklärt und benannt


• Es werden die Mythen rund um das Häutchen und die Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Vulven benannt


• Angestrebt wird eine Sensibilisierung und Reflexion unserer Sprachgewohnheiten zu Sexualität und Körper


• Was ist die Definition von Sex und warum spielt "Jungfräulichkeit" darin eine Rolle?


Außerdem biete ich einen Raum für offenen Austausch untereinander zu folgenden Fragen und Themen:

Was hat Wissen über den Körper mit Selbstbestimmung, Sex und Macht zu tun?

Welchen Einfluss hat Sprache auf kulturelle Werte und -Zwänge?

Was verrät der "Jungfernhäutchen"-Mythos über unsere Gesellschaft?


Für alle, die sich aktiv gegen den Mythos einsetzen und weiterbilden möchten, gibt es an dieser Stelle auch noch Seiten, Bücher, Podcasts, Youtube Link und eine Petition (bitte unterschreiben!) von großartigen, mutigen und unterstützenswerten Menschen, die sich für eine gleichberechtigte Welt ohne sexistische Kackscheiße einsetzen. Viel Freude dabei!

Und unbedingt weitersagen: Das Jungfernhäutchen gibt es nicht!




Bücher

Vulva: Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts Buch von Mithu Sanyal


Vergewaltigung: Aspekte eines Verbrechens Buch von Mithu Sanyal


Frauenkörper neu gesehen: Ein illustriertes Handbuch Buch herausgegeben von Laura Méritt


Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema

Buch von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl


Da unten

Buch von Louie Läuger


Viva la Vagina!: Alles über das weibliche Geschlecht

Buch von Ellen Støkken Dahl und Nina Brochmann


Der Ursprung der Welt Buch von Liv Strömquist


Zentrum für intersektionale Gesundheit Holla e.V. bietet die

Broschüre „Mythos Jungfernhäutchen“ an.

Der Fokus bei Holla e.V. liegt auf der kritischen Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, insbesondere im Kontext Intersektionalität und Rassismus.


Sprache und Sein Buch von Kübra Gümüşay


Schwarzer Feminismus: Grundlagentexte Buch herausgegeben von Natasha A. Kelly


The Will to Change: Men, Masculinity, and Love

Buch von bell hooks


A Burst of Light: Essays Buch von Audre Lorde


Hass spricht: zur Politik des Performativen Buch von Judith Butler



Podcasts:

Sexologisch Folge 13


Deutschlandfunk Nova Eine Stunde Liebe


Clitoria´s Secret


Frag mal Agi


Websiten:

Die Sexualpädagogin Agi Malach feiert mit VULViNCHEN die Vielfalt der Vulven und setzt sich gegen eine Normierung der Vulva ein.


Geschlechterforscherin Louisa Lorenz bietet den kulturhistorischen Workshop CLIT NIGHT über die Klitoris an.


Vulvaverstiy widmet sich der Entmystifizierung und dem Sichtbarmachen der Vulva. Und das Ziel: Zeigen, wie die Vulva wirklich ist, divers und vielfältig, in all ihren Farben und Formen.


Ella Berlin erfindet aus Vulva und Vagina den Begriff Vulvina


TALAYA SCHMID - SOFT SCULPTURES. TUFTING. PERFORMING. TEACHING. LECTURES.


Modelle der intimen Anatomie. Für die sexuelle Bildung, die Förderung der Sichtbarkeit oder einfach zum Schmusen.


Aufklärungsmodelle


Jorinde Wiese schreibt gegen den Mythos und ruft eine Petition ins Leben:



Youtube:

The virginity fraud | Nina Dølvik Brochmann & Ellen Støkken Dahl | TEDxOslo


Auf Klo: Mythen und Fakts zum Hymen



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